2017 Le Mans

Europäische Nachwuchsmodellbahner treffen sich in Frankreich

Man müsste meinen, dass die internationalen Jugendtreffs, die die SMV gemeinsam mit französischen und tschechischen Kollegen seit 2010 veranstalten, schon zur Routine gehören. Dem ist aber nicht so. Jedes Treffen ist speziell und bietet für Kinder und Jugendliche aus den verschiedenen Ländern steht etwas Neues. Das diesjährige Treffen, das Anfang Juli 2017 in Frankreich stattfand war ein gutes Beispiel.

Schon die Unterkunft in der Nähe von Le Mans war in diesem Jahr etwas Besonderes: suchte man sonst stets die Nähe zu Bahnstationen, lag das Jugendgästehaus diesmal ganz abgelegen und ruhig an einem kleinen See, umgeben von Wäldern und Feldern.

Der nächste Bahnhof war jedoch 30km entfernt. Um im Laufe der Woche Ausflüge zu ermöglichen, reisten diesmal auch die deutschen Jugendlichen auf Bitten der französischen Veranstalter mit Kleinbussen an. Ein solcher machte sich aus Sachsen auf die fast 1200km lange (und anstrengende) Reise. Ein zweiter startete vom Thomas-Mann-Gymnasium im badischen Stutensee. Insgesamt kam am 2. Juli eine Gruppe von knapp 25 Nachwuchsmodellbahnern – darunter sogar eine junge Dame – im Alter von 12 bis 25 Jahren sowie Betreuer aus allen drei Ländern zusammen.

Und schnell wurde klar, dass die Unterkunft zwar schwer per Bahn erreichbar war, aber für ein Jugendtreffen von Eisenbahnbegeisterten durchaus Reize bot. Denn die eingangs erwähnte Ruhe wurde immer wieder durch das auffällige Geräusch französischer Hochgeschwindigkeitszüge unterbrochen, die auf der rund 500m entfernten Schnellfahrstrecke TGV Atlantique verkehrten und in den folgenden Tagen noch ein außerordentlich beliebtes Foto- und Videomotiv darstellen sollten.

Doch bevor die besten Fotopunkte ausgewählt wurden, standen nach der anstrengenden und für viele langwierigen Anreise erstmal ein gemeinsames Abendessen und eine Vorstellung aller Teilnehmer an.

Der erste Tag begann mit einer Geschichtsstunde. Beim Besuch eines früheren Ritterordens in Arville bot ein Museum Einblick in das Leben der Kreuzritter, die sich hier im 12. Jahrhundert auf ihren Weg nach Jerusalem vorbereiteten. Mussten sich die Jugendlichen bei hochsommerlichen Wetter hier noch konzentrieren, bot der Ausflug ins Schwimmbad dann das krasse Gegenteil. Hier konnten sich am Nachmittag alle mal richtig austoben.

Die frühere Bahnstrecke Mamers – Saint Calais war Ziel eines Ausflugs am folgenden Tag. Ein Teil der Strecke, von Connerré nach Bonnétable, wird heute als eine Mischung aus Museums- und Touristenbahn genutzt. Denn in der Mitte liegt das Naherholungsgebiet Tuffé, das mit einem See und reichlich Freizeitangeboten zum Verweilen einlädt und so für viele Fahrgäste sorgt. Los ging die Bahnreise in Connerré, wo zunächst der Museumsbahnhof und die recht bunte Fahrzeugsammlung bestaunt wurden. Mit einem martialischen Triebwagen A75 aus dem Hause Billard setze sich die Gruppe dann auf der Museumbahn in Bewegung. Am Naherholungsgebiet stand eine längere Pause an. Da Sitzgruppen und schattenspendende Bäume zum Verweilen einluden, wurde der idyllische Platz für ein Picknick genutzt. Im Anschluss führte die Fahrt weiter bis zum heutigen Endpunkt der Museumsbahn in Bonnétable. Im fein hergerichteten Bahnhof konnten historische Bilder der Strecke bestaunt werden. Große Interesse weckte auch die neu errichtete, handbediente Drehscheibe. Auf dem Rückweg hielt der Ende der 1940er Jahre gebaute Triebwagen, der noch über ein von Hand zu schaltendes Getriebe verfügt, wieder in Tuffé, wo sich die Jugendlichen beim Baden im See erneut richtig austoben konnten. Einige wählten auch einen etwas beschaulicheren Ausflug mit einem Tretboot.

In alter Tradition wurden die Abende – allerdings erst nach dem in Frankreich üblichen ausführlichen Abendessen – zum Modellbahnbau genutzt. Dabei hatten sich französischen Organisatoren etwas Neues einfallen lassen: das Tacot (Le Tacot). Dabei handelt es sich um ein rund 20cm breites Kleinstmodul in H0e, auf dem das Gleis im Gegensatz zu geläufigen Modulkonzepten nicht rechtwinklig am Übergang enden muss. Eine justierbare Verbindung zu Nachbarmodulen wird über eine kleine Brücke bewerkstelligt. Da die Module recht klein und vielfältig sind, sieht dann eine “Anlage” aus Tacots recht witzig aus – ein wenig, wie ein (missglücktes) Tetris-Spiel. Für einen leichten Transport entschieden sich die Jugendlichen, Tacots mit der Grundfläche eines A4-Blattes zu bauen.

Jedes Jahr beeindruckt es, mit wieviel Eifer und Elan die Nachwuchsmodellbahner an die Arbeit gehen. Häufig wurde erst weit nach Mitternacht das Werkzeug aus der Hand gelegt. Wer eine Pause von der konzentrierten Modellbauarbeit brauchte, konnte sich im Freigelände reichlich sportliche Aktivitäten hingeben. Fußball und Federball standen hoch in der Gunst der meisten.

Ein ganz besonderes und im Rahmen der Treffen auch neues Programm stand am Mittwoch auf dem Plan. Bereits in der Vorbereitung auf das Treffen haben sich die Jugendlichen in ihren Heimatländern mit der Bedeutung von Feldbahnen im 1. Weltkrieg beschäftigt. Anlässlich des 100-jährigen Gedenkens rief das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) nämlich junge Menschen auf, sich mit dem Thema Krieg und Frieden in Europa zu beschäftigen. Die Gruppe der Modellbahner wurde mit dem Thema “Die Eisenbahn in Krieg und Frieden” als ein Projekt ausgewählt. Der erste Teil der Arbeit bestand nun aus Recherchen rund um die Eisenbahn im Krieg. Auf Wunsch der französischen Kollegen sollte die Nutzung der Feldbahnen direkt an der Front im Mittelpunkt stehen.

Die Ergebnisse der Recherchen wurden nun in Form eines Seminars ausgetauscht. Dazu reiste aus Paris sogar ein Geschichtslehrer und Fachautor rund um die Eisenbahnen im 1. Weltkrieg an. Deutsche und französische Jugendliche stellten ihre Ergebnisse über Fahrzeuge, Logistik und die Nachkriegsnutzung der Feldbahnen ihrer Länder vor. Die tschechischen Kollegen kümmerten sich kurzerhand um die Verwendung seitens der britischen und amerikanischen Truppen. Vorgetragen wurde in englischer Sprache, was trotz der großen Alters- und Erfahrungsunterschiede unter den Jugendlichen sehr gut funktionierte. Vielfältig waren auch die Beiträge. Sie reichten von klassischen Kurzvorträgen hin bis hin zu kleineren Spielen. Nach der Rückreise steht nun die Recherche zur Rolle der Eisenbahnen im friedlichen Europa an.

Die französischen Truppen setzten vor 100 Jahren Feldbahnen nach dem System der Firma “Decauville” ein. Wie es der Zufall so wollte, gab es unweit der Unterkunft ein Museum samt Feldbahnstrecke, das an das Wirken der Firma aus der Nähe von Paris erinnert. Und genau dorthin unternahmen die eisenbahnbegeisterten Jugendlichen am Donnerstag einen Ausflug. Ein wenig skurril ist die Sammlung, die die vornehmlich älteren Herren des “kleinen Zuges von Semur en Vallon” zusammengetragen haben. Bei der Fahrt auf der Museumsstrecke mit ihrem scheinbar original nachgestellten Oberbau kippten die Waggons selbst bei etwa 10km/h Höchstgeschwindigkeit mehrfach fast aus dem Gleis. Das Museum bot ein Sammelsurium an Fahrzeugen und Eisenbahnreliquien. Ein Blick in das Depot und die Werkstätten machte deutlich, dass die Feldbahnfreunde noch Arbeit für die nächsten 100 Jahre gesammelt haben.

Ein Kontrast bot sich wieder im Anschluss. Denn wenn ein Treffen in der Nähe von Le Mans stattfindet, sollte natürlich auch der Motorsport seinen Platz finden. Bei aller Eisenbahnbegeisterung waren die Jugendlichen natürlich auch von der eindrucksvollen Sammlung an Sportwagen angetan, die im Museum der 24-Stunden von Le Mans zusammengetragen wurde. Ein bisschen Rennluft konnte bei der Besichtigung der Strecke geschnuppert werden, da gerade einige Porschefahrer ihre Runden drehten.

Am Freitag stand kein Ausflug mehr auf dem Programm. So hatten alle Zeit, weiter an ihren Tacots zu bauen und die Ergebnisse dann zu einer kleinen Anlage zu verbinden. Dabei zeigte sich, dass es sich noch um Prototypen handelt. Die Justierung der Brücken erwies sich als sehr diffizil und anfällig. Gemeinsam wurde deshalb überlegt, wie das System verbessert werden kann. Die französischen Erfinder werden die Erfahrungen nun für eine Überarbeitung der Norm nutzen.

Heimreisen wollte am Sonnabend eigentlich keiner – lag doch eine äußerst abwechslungs- und kontrastreiche, aber dennoch überraschend entspannte Woche hinter allen Teilnehmern. Gekrönt wurde alles von Kaiserwetter, das für viele gelungene Bilder – vor allem von der fast vor der Tür liegenden Schnellfahrstrecke – sorgte. Auch in diesem Jahr war es für die Betreuer wieder eine angenehme Überraschung, wie gut die Jugendlichen trotz der Altersunterschiede Sprachbarrieren mühelos überwinden. Die Eisenbahn verbindet eben – geografisch und menschlich.

Auch das Treffen 2017 wurde wieder vom Deutsch-Französischen Jugendwerk gefördert. Im Namen aller Teilnehmer möchte sich die SMV für die großzügige und unkomplizierte Unterstützung bedanken. Und das nächste internationale Jugendtreffen befindet schon in der Planung. Da es auch in Spanien – oh pardon: in Katalonien – viele eisenbahnbegeisterte Jugendliche gibt, soll es Ende Oktober 2018 in der Nähe von Barcelona stattfinden.

Text: Mirko Caspar
Fotos: Pierre Lherbon (F), Florian Gumprich (SMV122), Tom Tripke (SMV122), Mirko Caspar